micromechanics

Von der Luxusindustrie zur Medizintechnik

Die Geschichte einer erfolgreichen Diversifizierung- 50 Jahre Bumotec (Teil 2)

Traditionell ist Bumotec untrennbar mit der Welt der Uhrmacherei verbunden. Für Aussenstehende hat dieses Universum seine ganz eigenen Gesetze und spezifischen Bedürfnisse, die weit vom allgemeinen Maschinenbau entfernt sind. Schon allein wegen der Grösse der Teile, aus denen eine Uhr besteht, aber auch wegen ihrer komplexen Geometrien, die das Aufspannen der Werkstücke erschweren. Hinzu kommen die Anforderungen an Genauigkeit, Qualität der Oberflächengüte, Zykluszeiten sowie die kostbaren und immer häufiger auch ungewöhnlichen Materialien, die zu bearbeiten sind. All diese Besonderheiten erfordern den Einsatz hochspezialisierter Maschinen in einem ganz speziellen Bereich, der auf den ersten Blick nur wenig Ähnlichkeit mit anderen Teilen der Branche hat. Aus dem von Bumotec seit mehreren Jahren praktizierten Ansatz des Teileportfolios haben sich jedoch einige Gemeinsamkeiten ergeben, die zur Entwicklung vielseitigerer Maschinen geführt haben, die ebenso den Bedürfnissen anderer industrieller Bereiche gerecht werden. Die Schmuck- und Lederwarenindustrie stellt ihre Kreationen zunehmend durch maschinelle Bearbeitung her. Ausserdem sind Medizintechnik, Luft- und Raumfahrt, Automobilindustrie, Verbindungstechnik und Elektronik Branchen, in denen leistungsfähige Bearbeitungslösungen benötigt werden.

» Wir stecken viel Arbeit in die Zuverlässigkeit unserer Maschinen, beispielsweise mit prädiktiver Wartung und in die Betreuung unserer Kunden.«

Guy Ballif: »Die Luxusgüterindustrie ist eine wichtige Branche für Bumotec. In den Jahren 1985 bis 1990 waren es vor allem Uhren. Unsere Geschichte und unser Erfolg haben mit dem Aufkommen des Stahlarmbands, das aus Stangen produziert wird, einen kräftigen Schub bekommen. Dafür hatten wir in den 1990er-Jahren die S94 entwickelt, aus der später weitere, inzwischen zu Flaggschiffen gewordene Modelle hervorgingen, wie die Bumotec S1000 und die Transfermaschinen.

Diese Weiterentwicklung unserer Maschinen wurde von der Entwicklung des Luxusmarktes beeinflusst und vollzog sich über 20 Jahre – und dauert weiter an. Dann kamen die komplexen Uhrwerke, die noch präzisere Maschinen erforderten. Seit 2005 hat die Verwendung von harten Materialien wie Karbid, Keramik oder noch ausgefalleneren wie Carbon dazu geführt, dass unsere Maschinen weiterentwickelt werden mussten, um den neuen Anforderungen unserer Kunden gerecht zu werden. Schliesslich kam vor etwa zehn Jahren die Schmuckherstellung hinzu. Dieser Markt war damals eher handwerklich als industriell geprägt. Immer mehr grosse Konzerne wollten maschinell bearbeiteten Schmuck mit anspruchsvollen geometrischen Formen anbieten. Wir konnten mit unseren Maschinen diese Anforderungen bedienen. Vor drei bis vier Jahren, mit Beginn der Corona-Pandemie, ist die Nachfrage geradezu explodiert. Und seit etwa zehn Jahren sind wir auch im Bereich Lederwaren aktiv, mit Teilen wie Schnallen, Verschlüssen und anderen Accessoires, die technisch immer hochwertiger werden. Uhrenhersteller waren schon immer Vorreiter, aber ihre Standards werden später oft von anderen Herstellern der Luxusgüterindustrie übernommen. Die Anforderungen unserer Kunden gehen fortwährend zu höherer Qualität der Oberflächengüte, und sie möchten die Möglichkeit haben, fertige Teile auf der Maschine ohne jede Nachbearbeitung zu produzieren, und das rund um die Uhr. Dies erfordert zuverlässige Maschinen für eine durchgehende Produktion, die aber gleichzeitig komplexer und anfälliger für Störungen sind. Wir stecken viel Arbeit in die Zuverlässigkeit unserer Maschinen, beispielsweise mit prädiktiver Wartung, und in die Betreuung unserer Kunden. Die Maschine ist wichtig, aber ein leistungsfähiger Kundenservice ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Zukunft hält weiter sehr viel Spannendes für uns bereit, zum Beispiel die additive Fertigung, in der es noch grosses Entwicklungspotenzial gibt und die eines Tages präzise genug für die Luxusgüterindustrie sein wird. Die Frage der Nachhaltigkeit ist für unsere Kunden von zentraler Bedeutung, und auch hier entwickeln wir effektive Strategien. Das Interessante an der Luxusbranche ist, dass man mit Kunden zusammenarbeiten kann, die sehr innovative Ideen haben und die über die Mittel verfügen, diese konkret umzusetzen.«

Damien Chêne: »Unser Engagement in der Medtech-Branche hat sich mit den Materialien weiterentwickelt. Ab dem Zeitpunkt, an dem die Uhrmacher auf Edelstahl und dann auf medizinischen Edelstahl umgestiegen sind, konnten wir uns ein umfassendes Wissen über die Besonderheiten bei der Bearbeitung dieser Materialien aneignen. Um dieses Wissen weiter auszubauen, richteten wir unseren Fokus auch auf neue Märkte wie Medtech, Luftfahrt oder Mikromechanik. Durch die Weiterentwicklung der Maschinen, vor allem bei der Haupt- und der Gegenspindel, konnten wir Maschinen anbieten, die für den medizinischen Bereich geeignet sind. Später haben wir Niederlassungen in den USA gegründet, unserem grössten Markt, aber auch in Asien, Frankreich und Deutschland. Wir haben sogar Transfermaschinen geliefert, insbesondere für die Kieferorthopädie. Aber die Medizin ist ein sehr spezieller Bereich mit vielen Auflagen administrativer Art und in Bezug auf die Rückverfolgbarkeit. Es ist ein äusserst anspruchsvoller Markt, der ohne Volumeneffekt nicht rentabel ist. Die Übernahme von Bumotec durch die Starrag- Gruppe bot uns die Chance, durch die Niederlassungen der Gruppe im Ausland diesen Bereich weiter auszubauen. Unsere grosse Stärke ist, dass wir unseren Kunden eine schlüsselfertige Lösung anbieten können. In diesem komplexen Bereich ist die Partnerschaft mit unseren Kunden von entscheidender Bedeutung, denn Entwicklungen werden gemeinsam gemacht. Beträchtliche Erfolge werden nur mit echter Zusammenarbeit möglich.«

Innovative technische Lösungen im Dienst der Produktivität

Heute werden Bumotec-Maschinen von einer Vielzahl industrieller Unternehmen aus den unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt. Die Produktpalette von Bumotec bietet eine umfassende Auswahl. Vom 3-Achs-Bearbeitungszentrum über Transfermaschinen und Maschinen zum Diamantieren und Facettieren bis hin zu kombinierten Fräs- und Drehmaschinen deckt das Angebot der Starrag ein sehr breites Spektrum ab. Eine Bumotec ist in erster Linie eine massgeschneiderte Maschine, die sehr spezifische Erwartungen erfüllt. Handgeschabte Oberflächen verleihen der Maschine höchste Präzision, und die Linearmotoren, eine Technologie, die seit fast 20 Jahren eingesetzt wird, sorgen für die nötige Dynamik. Aber eine Bumotec ist vor allem eine Maschine, die Bauteile komplett bearbeiten kann, ohne dass sie an einer anderen Station nachbearbeitet werden müssen. Bearbeitung ab Stange, Gegenspindel, hochgradige Automatisierung – alles ist vorhanden, damit diese Maschinen rund um die Uhr mit schweizerischer Zuverlässigkeit produzieren können. Jérôme Zbinden, Leiter von Forschung und Entwicklung bei Starrag Vuadens, erläutert die wichtigsten Trends, die entscheidend die neuen Entwicklungen bestimmt haben. »Bei der Entwicklung der Bumotec- Maschinen waren mehrere Punkte von Bedeutung. Der erste ist untrennbar mit der zunehmenden Komplexität der Teile verbunden, die von unseren Kunden bearbeitet werden. Moderne Werkzeugmaschinen und ihre Fähigkeit, mehrere Achsen gleichzeitig zu steuern, haben die letzten Beschränkungen für Kreativität und komplexe Geometrien hinweggefegt. Die extreme Komplexität der von unseren Kunden hergestellten Teile führte dazu, dass auch die Bedienung unserer Maschinen immer komplexer wurde. Das bringt uns zum zweiten Punkt: der Entwicklung einer benutzerfreundlichen HMI (Mensch-Maschine- Schnittstelle), um die Arbeit für den Benutzer so einfach wie möglich zu machen. Durch die Umstellung auf eine PC-basierte Steuerung, die immer noch von Fanuc stammt, konnten wir dies realisieren. Der dritte Punkt dreht sich um die Art der Materialien, die von unseren Kunden benutzt werden. Die Verwendung von schwierig zu bearbeitenden, harten oder auch ungewöhnlichen Materialien hat bei uns die Implementierung von Lösungen vorangetrieben, mit denen diese Materialien bearbeitet werden können. Der vierte Punkt betrifft die benötigte Standfläche unserer Maschinen, die immer kleiner wird. Besonders für unsere Kunden aus der Uhrenindustrie ist das ein wichtiges Kriterium. Und der letzte Punkt geht um den Aspekt Umwelt und Energie, das heisst sparsamere Maschinen. Ausgehend von diesen fünf Punkten haben wir verschiedene technologische Lösungen umgesetzt, um immer leistungsfähigere Maschinen anbieten zu können. Die ständige Weiterentwicklung von Konstruktions- und Simulationssoftware war uns dabei eine grosse Hilfe, und CAM hat es uns ermöglicht, unsere Maschinen bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu nutzen. 

Eine Bumotec ist in erster Linie eine massgeschneiderte Maschine, die sehr spezifische Erwartungen erfüllt.

Der Übergang zur Hochgeschwindigkeitsbearbeitung (HSC) in den 1990er- Jahren erforderte viel mehr Dynamik bei den Maschinen. Dies beansprucht sie viel stärker in ihren Grundfunktionen, also in ihrer Fähigkeit, mit hohen Frequenzen zurechtzukommen. Wir setzen schon seit Langem Linearmotoren in unseren Maschinen ein. Ihr Einsatz bringt viele Vorteile mit sich, angefangen bei einer sehr hohen Dynamik, aber auch eine erhöhte Steifigkeit aufgrund der magnetischen Anziehungskraft des Motors. Durch den Wegfall der Kugelumlaufspindel gibt es keine Verschleissprobleme mehr und die Wärmeregulierung ist einfacher, da nur der Motor gekühlt werden muss. Dadurch werden unsere Maschinen noch zuverlässiger, denn das Wichtigste für uns ist und bleibt ihre Verfügbarkeit. Die zunehmende Anzahl von Sensoren und die Verarbeitung ihrer Daten in Echtzeit ermöglichen uns bereits, jedes Risiko eines Maschinenstillstands bei Werkzeugbruch oder übermässigem Verschleiss, einem vollen Spänebehälter, leeren Stangenlader oder zu niedrigem Ölstand vorausschauend zu verhindern. 

Wir sind bestrebt, die Risiken, die mit dem Verschleiss bestimmter Maschinenkomponenten wie zum Beispiel der Spindel verbunden sind, noch weiter zu minimieren. KI, Machine Learning und andere Tools werden uns kurz- oder mittelfristig in die Lage versetzen, die prädiktive Wartung zu immer grösserer Zuverlässigkeit weiterzuentwickeln. Derzeit stecken wir mit diesen neuen Technologien noch in den Kinderschuhen, doch sie bieten ein sehr grosses Potenzial. Heute konzentrieren sich unsere Prioritäten auf eine möglichst einfache HMI, serienübergreifende Konzepte und individuelle Anpassungen.«