Aerospace

Vom Adler gelernt

In über 20 Jahren baute Liebherr- Aerospace einen weltweiten Fertigungsverbund auf, in dem 13 Starrag-Maschinen dazu beitragen, Fahrwerke für Punktlandungen mit Adlerpräzision herzustellen. Passend dazu landet in einem kurzen, mehr als 7.000 Mal aufgerufenen YouTube-Video von Liebherr ein Adler ruhig und präzise auf felsigem Grund – begleitet vom Slogan: "The best landing gears are built by nature. But we are working on it."

Ein stimmiges Bild – doch die Anforderungen in der Luftfahrt sind ungleich komplexer. Der Adler bringt kaum fünf Kilogramm auf die Waage, erreicht 160 km/h im Sturzflug – und er trägt nur sich selbst. Ein modernes Fahrwerk hingegen muss zuverlässig mit über 300 Tonnen Fluggewicht umgehen, unabhängig von Wetter, Untergrund oder Tageszeit. Der Film bringt es dennoch auf den Punkt: sichere Landung unter nahezu allen Bedingungen. Liebherr verfolgt daher – gemeinsam mit Starrag – den Anspruch, Fahrwerkssysteme zu fertigen, die auch unter Extrembedingungen sicher, präzise und langlebig funktionieren. Die Keimzelle dieser Philosophie liegt in Lindenberg im Allgäu – rund 20 Kilometer östlich des Bodensees. Der Standort gilt seit Jahrzehnten als Zentrum für Luftfahrttechnik und präzise Metallbearbeitung. Hier gründete Liebherr 1960 einen Reparaturbetrieb, aus dem sich die heutige Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH entwickelte – ein weltweit führender Systemlieferant für Flugsteuerungen und Fahrwerke.

Hohe Belastungen für die »Beine« des Flugzeugs

Fahrwerkskomponenten zählen zu den am stärksten beanspruchten Teilen eines Flugzeugs – auch wenn sie im Vergleich zu Triebwerk oder Tragfläche optisch kaum auffallen. Ihre Aufgabe ist es, beim Aufsetzen das volle Gewicht des Flugzeugs samt Passagieren, Gepäck und Treibstoff sicher aufzunehmen – bei jeder Landung, bei jedem Wetter, auf jeder Oberfläche. Anforderungen an Werkstoff, Geometrie und Fertigungsqualität waren von Beginn an hoch: über 80 % Zerspanungsanteil, komplexe Bauteilgeometrien, Bearbeitungsstrategien mit μm-Toleranzen, ergänzt um prozesssichere Automation. Das spiegelt sich auch bei der Herstellung. Neue Fahrwerke bestehen aus hochfesten Titanoder Stahllegierungen.

In Zukunft könnten auch Edelstahllegierungen kommen, auf deren anspruchsvollen Zerspanungseigenschaften Liebherr mit seinen leistungsstarken und stabilen Droop+Rein-Maschinen bestens vorbereitet ist. Die Zerspanung erfolgt in bis zu 40 Arbeitsschritten – mit komplexen Aussenkonturen, eng tolerierten Mehrfachbohrungen und Wärmebehandlung. Eine Besonderheit ist der Aufbau der Fahrwerke. »Sobald ein Bearbeitungsfeature am Zylindergehäuse absteht, kann man es auf einer Drehmaschine nicht mehr sinnvoll rotieren – dann muss es gefräst werden«, erklärt Lee Scott, Director Sales and Applications für Starrag UK. „Und das ist fast wie beim Formenbau: komplexe Aussenkonturen, enge Toleranzen, viele Bohrungen – alles in einer Aufspannung.“

Der Support deckt den gesamten Lebenszyklus ab – von der Entwicklung bis zur Wartung.

Hohe Fertigungstiefe dank Spanen in einer Aufspannung

Um Bauteile dieser Komplexität inhouse fertigen zu können, setzt die Liebherr- Aerospace Lindenberg GmbH auf hohe Fertigungstiefe. »Wir legen grossen Wert auf Qualität und Verfügbarkeit – deshalb stellen wir die Hauptkomponenten unserer Fahrwerke selbst her«, sagt Bernd Molinari, Gruppenleiter in der Fahrwerksfertigung.

2004 fiel die Entscheidung für die erste Droop+Rein FOGS M40 – eine Maschine, die sich durch Stabilität, Präzision und Flexibilität auszeichnet. Ausschlaggebend war unter anderem die Ähnlichkeit der Bauteilgeometrien mit dem Werkzeugund Formenbau. Die komplexen Konturen und Bohrungen der Fahrwerke liessen sich auf der Droop+Rein FOGS in einer Aufspannung wirtschaftlich und präzise bearbeiten – dies war der Auftakt zu einer langfristigen Partnerschaft. Zwischen 2004 und 2014 baute Liebherr-Aerospace in Lindenberg einen dynamischen Fertigungsverbund auf – mit inzwischen vier Droop+Rein-FOGS-Maschinen als Herzstück. Die Maschinen wurden schrittweise erweitert, modernisiert und gezielt automatisiert: mit robotergestütztem Werkzeughandling, Lasermesssystemen und Werkzeugmagazinen für bis zu 250 Werkzeuge.

Mindestens 95 % Verfügbarkeit garantiert

Dieser Verbund war nicht nur auf Produktivität ausgelegt, sondern auch auf maximale Verfügbarkeit. »Seit den ersten Installationen arbeiten wir mit einer vertraglich zugesicherten technischen Verfügbarkeit von über 95 %«, erläutert Heiko Quack, Director Sales Large Projects beim Starrag-Produktbereich Droop+Rein in Bielefeld. »Das erreichen wir neben dem von Starrag bekannten hochwertigen Maschinenbau mit moderner und zugleich bewährter Technik auch durch eine enge Zusammenarbeit: Wartungsverträge, regelmässige Service-Workshops, abgestimmte Instandhaltung – Liebherr betreibt die Maschinen vorausschauend und partnerschaftlich.« Mit Erfolg: Die Maschinen der ersten Jahre sind immer noch im Einsatz – weiterhin mit einer technischen Verfügbarkeit von über 95 %. Die Produktionsstruktur am Standort wurde so zur Blaupause für weitere Partnerwerke weltweit. Standardisierte Prozesse und verlässliche Maschinen bildeten die Basis. Der Zeitraum bis 2014 markierte damit den Ausbau des internen Maschinenparks und den Beginn eines strategischen Netzwerks mit hohem Automatisierungsgrad, das die Grundlage für die heutige globale Produktionsstrategie darstellt. Spätestens nach dem pandemiebedingten Einbruch und dem anschliessenden Markthochlauf setzte Liebherr-Aerospace auf den gezielten Ausbau seines weltweiten Netzwerks. Neben den vier Droop+ Rein-FOGS-Maschinen in Lindenberg wurden weitere neun Maschinen bei Partnern in China, Indien, Frankreich und – bis 2022 – auch in Russland installiert. »Liebherr hat sich seine Partner weltweit gezielt ausgesucht«, so Quack. »Wir haben unsere Technologie gemeinsam mit Liebherr an diese Standorte übertragen – überall dort, wo neue Werke aufgebaut oder vorhandene Fertigungen für die Fahrwerksherstellung befähigt wurden, waren wir von Beginn an eingebunden.« Eine weitere Droop+Rein FOGS befindet sich aktuell auf dem Weg zum jüngsten Fertigungspartner von Liebherr-Aerospace und soll noch im Laufe des Jahres 2025 die Produktion aufnehmen.

Zusammenarbeit auf Augenhöhe: Partnerschaft von zwei Marktführern

Die Maschinen der ersten Jahre sind immer noch im Einsatz – weiterhin mit einer technischen Verfügbarkeit von über 95 %.

Diese enge Zusammenarbeit erfolgt auf Augenhöhe – nicht zuletzt, weil Starrag im Bereich Fahrwerksfertigung als weltweit führender Maschinenlieferant gilt. Heute sind rund 60 Bearbeitungszentren von Droop+Rein für diese Aufgabe im Einsatz. Etwa jede siebte davon arbeitet direkt oder indirekt im Fertigungsverbund von Liebherr-Aerospace. Quack betont: »In diesem Marktsegment sind wir der Hersteller der Wahl – wegen der Technik und unserer verlässlichen, global aufgestellten Partnerschaft und Position in diesem anspruchsvollen Segment.«

Was dabei entsteht, rückt Starrag zur EMO 2025 erstmals ins Rampenlicht: ein vollständig montiertes Bugfahrwerk (Nose Landing Gear, NLG) des Airbus A350 – gefertigt bei Liebherr-Aerospace in Lindenberg. Dieses Bauteil ist nicht nur ein technologischer Blickfang, sondern auch das grösste Fahrwerk, das Liebherr bislang entwickelt hat. Seit Inbetriebnahme des Airbus A350-900 im Jahr 2016 liefert Liebherr das System für alle A350-Varianten. Beim Airbus A350-1000, der am 24. November 2016 seinen Erstflug absolvierte, wurde das Bugfahrwerk konstruktiv neu ausgelegt – unter anderem wegen des höheren maximalen Startgewichts von 308 Tonnen. Dabei konnte Liebherr seine Erfahrungen aus dem A350-900-Programm gezielt einbringen. Zusätzlich zum Bugfahrwerk produziert Liebherr-Aerospace auch weitere Systeme für den Airbus A350 – etwa Komponenten zur Steuerung von Vorflügeln und Landeklappen, zur Lastmessung und zur Dämpfung. Der Support deckt den gesamten Lebenszyklus ab – von der Entwicklung bis zur Wartung. Das Gehäuse des ausgestellten Fahrwerks entsteht auf einer Droop+Rein FOGS in Lindenberg. Das Bugfahrwerk macht – anders als das deutlich grössere Hauptfahrwerk – zwar nur einen kleineren Teil des Flugzeuggewichts aus, ist aber genauso sicherheitskritisch. Es wird beim Start und bei der Landung stark beansprucht und muss mit extremen Stossbelastungen sowie Richtungswechseln umgehen können. Ein hochpräzise gefertigtes Fahrwerk wie das Exponat sorgt daher für sicheren Betrieb und senkt auch die Wartungskosten über den Lebenszyklus. Mit dem erstmals ausgestellten A350- Fahrwerk schliesst sich der Kreis: Was im YouTube-Clip von Liebherr symbolisch begann – der Flug und die präzise Landung eines Adlers –, wird auf der EMO 2025 in technischer Form erlebbar. Denn obwohl die Natur noch immer das beste Fahrwerk konstruiert, kommt die Technik dem Vorbild erstaunlich nahe.